DAS STÄNDIGE VÖLKERTRIBUNAL

DAS STÄNDIGE VÖLKERTRIBUNAL

Wir fördern die internationale Verbreitung des Verfahrens des mexikanischen Kapitels des Tribunals, das derzeit bis 2014 in Gang ist. Im Rahmen dieser Agenda erkunden wir auch unterschiedliche Interpretationen der Beziehungen zwischen Gewalt, freiem Handel, neuem Extraktivismus und transnationalen Unternehmen in Mexiko, sowie deren Auswirkungen, um weiter gehend die Verbindungen zwischen Kapitalismus und Krieg auf der einen Seite und auf der anderen die Spannungen zwischen Menschenrechten, Demokratie und Kapitalismus zu überdenken.

Begleitung des SVT aus Berlin

tpp mexicoZusammenhang

Das Ständige Völkertribunal hat die Tradition des Bertrand Russell Tribunals und der Prozesse gegen die nordamerikanischen Verbrechen in Vietnam geerbt. Es ist ein Versuch, die territoriale Beschränkung (was ist damit gemeint?) zu durchbrechen, die eine Abgrenzung der Gerechtigkeit vom staatlichen Verständnis voraussetzt. Wenn wahr ist, dass die Souveränität einer bestimmten Autorität zufällt (Gott, dem König, dem Land…), deren Repräsentation von einer bestimmten Regierung übernommen wird, dann ist auch richtig, dass solche “Repräsentation” das Recht interpretiert und es auch zweckmäßig ausübt. Die Behauptung lautet: die Entstehung anderer Autoritäten wird benötigt, die ethisch und kritisch gegenüber dem Staat in der Lage sind, von außen das resultierende Gleichgewicht von Kräften in einer Gesellschaft in Frage zu stellen.

Der Fall des mexikanischen Staates ist sogar komplexer. Hier wird es analytisch unmöglich, das organisierte Verbrechen von der staatlichen Struktur zu unterscheiden. Sie sind keine verschiedenen Akteure, sondern in stetig symbiotischer Beziehung miteinander lebende Logiken. Da sind die Vertreter des alten Regimes, der Eliten von Unternehmen und transnationalen Konzernen und vor allem die Vertreter von informellen Netzwerken, deren Beziehungen das Handeln des gesamten Staates nähren. Die formellen Institutionen – ein relativ vielseitiges Regime aus Parteien und öffentlichen autonomen Organismen – sind im Augenblick nicht fähig, die Beziehung der Kräfte innerhalb des Staates zu verändern. In den meisten Fällen sind sie nur Größen, die letztendlich die Menge der in Mexiko stattfindenden Ungerechtigkeiten legitimieren.

Dass eine Gruppierung sozialer Organisation, die dazu aufgerufen hat, eine Abteilung Mexiko im Ständigen Völkertribunal zu gründen, versteht sich als ein Weg um: 1) die Beziehungen (und nicht nur die “Komplizenschaft”) aufzuzeigen, die es zwischen staatlichen Institutionen, kriminellen Organisationen und legalen transnationalen Konzernen durch Freihandelsabkommen gibt; 2) die in Mexiko stattfindenden ökologischen, ökonomischen und menschlichen Verbrechen anzuzeigen; 3) für eine Änderung der Regeln für das Zusammenleben zu kämpfen, und 4) ein Raum zur Wahrnehmung und zum Ergreifen des Wortes zu sein.

Als ethisches, autonomes und von Natur aus transnationales Tribunal besteht das SVT aus 130 Richtern und Verteidigern der Menschenrechte, die aus verschiedenen Orten der Welt kommen. Es handelt sich um die Bemühung eines internationalen Nicht- Regierungsorganismus, der seit 1979 als Alternative für die fungiert, die weder Antworten noch Gehör von den Institutionen auf nationaler, kontinentaler und internationaler Ebene erhalten. Das SVT strebt nicht an, die schon bestehenden internationalen Gerichtshöfe zu ersetzen, sondern auf deren deutliche Grenzen, (neo)liberale Interpretationen und offensichtlich ideologische Richtungen hinzuweisen. Ein Beispiel dafür ist der Internationale Gerichtshof, der sich geweigert hat, eine Stellungnahme gegen wirtschaftliche Verbrechen abzugeben. Dies aufgrund der Annahme, dass die Staaten über eine interne Autonomie verfügen, um ihre Politik in Angriff zu nehmen und die Knappheit zu regulieren, als ob die transnationale Verbindung der liberalen Politik außerhalb jeder Beurteilung läge.

Vom 28. Mai 2012, als die Eröffnungsanhörung des Tribunals durchgeführt wurde, bis zum Anfang des Jahres 2014, werden die gesamten Informationen in eine Abschlussanhörung einfließen. Der allgemeine Rahmen des Tribunals umfasst die Themen: Freihandel, Gewalt, Straflosigkeit und Völkerrechte. Die unterschiedlichen Tribunale werden sich informieren, analysieren und beurteilen, und zwar in sieben Anhörungen zu derselben Anzahl an Themen: 1) Schmutziger Krieg als Gewalt, Straflosigkeit und Mangel an Zugang zur Gerechtigkeit, 2)Migration, Obdach und erzwungenes Auswandern, 3) Frauenmorde und Geschlechtsergewalt, 4) Gewalt gegen Arbeiter, 5) Gewalt gegen den Mais, die Ernährungssouveränität und die Autonomie, 6) Gewalt gegen die Umwelt und 7) Desinformation, Zensur und Gewalt gegen Kommunikatoren.

Innerhalb aller thematischen Anhörungen (organisiert von den Promotoren der Abteilung-Mexiko-SVT und den Förderern der bestimmten Anhörung (2)) werden Individuen und soziale Organisationen punktuelle Anzeigen präsentieren (die Fälle werden als Problemfelder gesehen werden und nicht nur als einzelne Missachtungen bestimmter Rechte (3)) gegen Individuen, Unternehmen, Staatsbeamte, u.a., die nach einer Notifikation des SVTs sich beim Tribunal auch werden rechtfertigen können. Die vorläufigen Ergebnisse des Prozesses werden am dritten Tag der Anhörung veröffentlicht und 2014 bei der Abschlussanhörung bestätigt.

México vía Berlín und das SVT

México vía Berlín hat sich in ihrer Gründungserklärung als Hauptziel gesetzt: in Interaktion und Austausch von Ideen der unterschiedlichen nationalen und internationalen politischen Akteure über Themen im Zusammenhang mit Mexiko Einfluss zu nehmen. Damit meinen wir, dass wir uns bei der Festlegung von Parametern in Debatten über Mexiko einbringen und an dem ganzen Prozess der Formulierung von politischen Ideen im akademischen und öffentlichen Raum und mit Entscheidungsträgern beteiligen wollen. Das heißt auch, dass Dialoge sowohl den Experten, den hochrangigen Politikern und den großen politischen Organisationen als auch denjenigen, die sich ein wenig für das Thema interessieren, dem Durchschnittsbürger und den einsetzenden nachbarschaftlichen Strukturen, zugänglich sind.

Es ist uns klar, dass die Grenzen des SVT offensichtlich sind: es kann keinen Einfluss ausüben außer dem, den ihm die öffentliche Meinung garantieren kann. Das heißt, dass es die operative Unterstützung und den Legitimation seitens der organisierten Zivilgesellschaft braucht. Die Verantwortung und der intellektuelle Wert der an den Anhörungen Beteiligten, ihre kritische Betrachtung und der Dokumentierungsaufwand bleiben sinnlos, wenn der Beratungsprozess nicht der Öffentlichkeit zugänglich ist.

Andererseits basiert für México vía Berlín das Verständnis der aktuellen gesellschaftlichen Realität auf der Grundvoraussetzung, dass die nationalen Probleme (und deren Lösungen) ohne die Interaktionen mit dem Umfeld nicht verstanden werden können. Dieses Verständnis ist explizit auf der Plattform der Fondazione Lelio e Lisli Basso Issoco (Trägerorganisation des SVT) zu finden, implizit in jedem einzelnen der 23 Artikel, aus denen das SVT besteht, und klar in den 37 Unterlagen der verschieden Resolutionen des Tribunals seit 1979.

So sind das SVT und México vía Berlín in mehreren Aspekten verbunden: 1) das Verständnis, dass eine Idee nur an Gewicht gewinnen kann, wenn sie in die öffentliche Sphäre eingeht; 2) eine kritische transnationale Diagnose von dem, was in Mexiko geschieht, mit neuen Werkzeugen erfolgt; 3) ein kritischer und linksorientierter Blick auf die Probleme der Welt; 4) die Bestrebung, eine radikal andere Zukunft zu erdenken.

Wenn es wahr ist, dass die Globalisierung in großem Maße von den Kräften des Marktes kooptiert wurde, dann ist auch richtig, dass die linken Kräfte die Räume nutzen können und sollten, in die das System eingespannt ist.

Das Projekt

Das Ständige Völkertribunal hat im Oktober 2011 beschlossen, das Kapitel Mexiko in Gang zu setzen. Seitdem wurde eine Reihe von Anhörungen durchgeführt, um die “Allgemeine Anklage der Zivilgesellschaft bei dem SVT” zu präsentieren, deren Gutachten zwischen dem 27. und dem 29. Mai 2012 (4) in Ciudad Juárez, Chihuahua vorgestellt wurde. Die mehr als 300 anwesenden Organisationen (darunter México vía Berlín) haben sich dazu verpflichtet, das in diesen Tagen Besprochene in die Öffentlichkeit zu bringen, mit Zeugenaussagen, Daten und Begründungen die Anhörungen aufzubauen, eigene Diagnosen der aktuellen Lage des Landes zu erstellen und die Ergebnisse ihrer Diskussionen zu veröffentlichen. Mexico vía Berlín leistet seinen Beitrag, indem sie die deutsche, mexikanische und internationale Zivilgesellschaft sowie Bürger auf persönlicher Ebene dazu aufruft, sich an der Reihe von Veranstaltungen über die Tätigkeiten des Permanenten Völkertribunal, Kapitel Mexiko, seinen Grundlagen und Resolutionen zu beteiligen.

Zu unseren Zielen bei der Verfolgung des SVT zählen unter anderen:

• Zur mittlerweile schon historischen Diskussion über die Wichtigkeit der Existenz von transnationalen Organisationen, die fähig sind, die Staat-Nation-Grenze zu überschreiten und die innerhalb dieser Grenzen stattfindenden Ungerechtigkeiten zu beurteilen, beizutragen.

• Der deutschen, der mexikanischen und der internationalen Zivilgesellschaft die mehrfachen Missachtungen von Menschenrechten, die in Mexiko vom Staat begangen werden, die informellen Netzwerke, die sich daran beteiligen und die illegalen Akteure, aufzuzeigen.

• Die deutsche, die mexikanische und die internationale Zivilgesellschaft auf den Widerstand von Journalisten, sozialen Organisationen, Männern und Frauen, die die Angriffe seitens des Staates und des Marktes ertragen, und so die wesentliche Verbindung von nationalen und internationalen Akteuren aufzuzeigen, aufmerksam zu machen.

• Alle Fälle, beratenden Prozesse und Resolutionen des SVT, Kapitel Mexiko, zu verbreiten und zu verfolgen.

• Ein kritisches Denken zu kreieren, dessen Hauptfokus auf dem Transnationalen und der Infragestellung des kapitalistischen Ordens liegt.

México vía Berlín

August 2012.

Fußnoten:

(1) Das SVT hat eine lange Laufbahn als Organismus, der zur Sichtbarmachung von transnationalen wirtschaftlichen Verbrechen beiträgt. Siehe alle Sitzungen, die der Politik der IWF und der Weltbank (Berlin 1989 und Madrid 1994), der Textilunternehmen (Brüssel 1998), der Verhaltensweisen der internationalen Konzerne (Warwick 2001) gewidmet sind, sowie (die) der europäischen Politik in Lateinamerika (Wien 2006 und Lima 2008). Diese Resolutionen sind unter diesem Link zu lesen: http://www.internazionaleleliobasso.it/?op=6&oid=3
(2) Hier die Satzung des SVT Kapitel Mexiko: http://www.tppmexico.org/wp-content/uploads/2012/02/Estatuto-del-TPP_Declaracion-Argel.pdf
(3) So funktioniert ein vorbildlicher Fall: http://www.tppmexico.org/wp-content/uploads/2011/10/CASO-MODELO.pdf und hier : http://www.tppmexico.org/wp-content/uploads/2011/10/PP-PROCESO-TPP.pptx.pdf
(4) Gutachten hier, um die Anklage zu lesen: http://www.tppmexico.org/wp-content/uploads/2012/06/Larga-con-7-anexos.pdf und die kurze Version: http://www.tppmexico.org/wp-content/uploads/2012/06/Acusaci%C3%B3n-general-corta.pdf
 

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